Kapitel VIII

GERICHTE UND GERICHTSHÖFE

Artikel 173

Gerichte und Gerichtshöfe sind eine eigene und von den anderen Gewalten unabhängige Gewalt.

Artikel 174

Gerichte und Gerichtshöfe sprechen ihre Urteile im Namen der Republik Polen.

 

GERICHTE

Artikel 175

1. Die Rechtsprechung in der Republik Polen üben das Oberste Gericht, ordentliche Gerichte, Verwaltungs- und Militärgerichte aus.

2. Sondergerichte und Schnellverfahren dürfen nur für Kriegszeiten eingeführt werden.

Artikel 176

1. Das Gerichtsverfahren umfaßt mindestens zwei Instanzen.

2. Den Aufbau und die Zuständigkeiten der Gerichte sowie das Gerichtsverfahren regeln Gesetze.

Artikel 177

Die ordentliche Gerichte üben die Rechtsprechung in allen Angelegenheiten mit Ausnahme derer aus, die gesetzlich der Zuständigkeit anderer Gerichte vorbehalten sind.

Artikel 178

1. Bei der Ausübung ihres Amtes sind Richter unabhängig und nur der Verfassung und den Gesetzen unterworfen.

2. Den Richtern werden Arbeitsbedingungen und eine Vergütung gewährleistet, die der Würde ihres Amtes und dem Umfang ihrer Pflichten entsprechen.

3. Ein Richter darf weder einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft angehören noch eine öffentliche Tätigkeit ausüben, die mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter nicht vereinbar ist.

Artikel 179

Die Richter werden vom Präsidenten der Republik Polen auf Vorschlag des Landesrates für Gerichtswesen auf unbestimmte Zeit berufen.

Artikel 180

1. Die Richter sind unabsetzbar.

2. Gegen seinen Willen darf ein Richter nur durch eine gerichtliche Entscheidung und nur in den gesetzlich bestimmten Fällen seines Amtes enthoben werden, von der Amtsausübung suspendiert oder an einen anderen Ort oder auf eine andere Stelle versetzt werden.

3. Der Richter kann in den Ruhestand versetzt werden, wenn Krankheit oder Verlust der Kräfte ihm die Amtsausübung unmöglich macht. Das Verfahren sowie die Weise, in der gegen eine solche Entscheidung Berufung bei Gericht eingelegt werden kann, regelt das Gesetz.

4. Das Gesetz bestimmt die Altersgrenze, bei deren Erreichung die Richter in den Ruhestand treten.

5. Werden der Aufbau der Gerichte oder die Gerichtsbezirke verändert, kann ein Richter unter Beibehaltung der vollen Bezüge an ein anderes Gericht oder in den Ruhestand versetzt werden.

Artikel 181

Ohne vorherige Zustimmung des gesetzlich bestimmten Gerichtes darf ein Richter weder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden noch ist ein Freiheitsentzug zulässig. Ein Richter darf weder festgenommen noch verhaftet werden, es sei denn er wird auf frischer Tat betroffen und die Festnahme ist zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufes unentbehrlich. Von der Festnahme ist sofort der Präsident des örtlich zuständigen Gerichts zu unterrichten, der die sofortige Freilassung des Festgenommenen anordnen kann.

Artikel 182

Die Teilnahme der Staatsbürger an der Ausübung der Rechtsprechung wird im Gesetz geregelt.

Artikel 183

1. Das Oberste Gericht führt die Aufsicht über die Tätigkeit der ordentlichen und Militärgerichte im Bereich richterlicher Entscheidungen.

2. Das Oberste Gericht übt auch andere in der Verfassung und in Gesetzen bestimmte Tätigkeiten aus.

3. Der Erste Präsident des Obersten Gericht wird vom Präsidenten der Republik Polen für eine 6-jährige Amtszeit aus der Mitte der Kandidaten berufen, die von Generalversammlung der Richter des Obersten Gerichtes vorgeschlagen worden sind.

Artikel 184

In dem durch Gesetz bestimmten Umfang kontrollieren das Oberste Verwaltungsgericht und die anderen Verwaltungsgerichte die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung. Diese Kontrolle umfaßt auch Entscheidungen über die Gesetzmäßigkeit der Beschlüsse der örtlichen Selbstverwaltungorgane und der Normativakte der lokalen Organe der Regierungsverwaltung.

Artikel 185

Den Präsidenten des Obersten Verwaltungsgerichts beruft der Präsident der Republik für eine 6-jährige Amtszeit aus der Mitte der Kandidaten, die von der Generalversammlung der Richter des Obersten Verwaltungsgerichtes vorgeschlagen worden sind.

Artikel 186

1. Der Landesrat für Gerichtswesen schützt die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.

2. Soweit Normativakte die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter berühren, kann der Landesrat für Gerichtswesen beim Verfassungsgerichtshof die Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit beantragen.

Artikel 187

1. Der Landesrat für Gerichtswesen besteht aus:

1) dem Ersten Präsidenten des Obersten Gerichtes, dem Justizminister, dem Präsidenten des Obersten Verwaltungsgerichts und einer vom Präsidenten der Republik berufenen Person,

2) fünfzehn Mitgliedern, die aus der Mitte der Richter des Obersten Gerichts, der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungs- und Militärgerichte gewählt worden sind,

3) vier Mitgliedern, die vom Sejm aus der Mitte der Abgeordneten und zwei Mitgliedern, die vom Senat aus der Mitte der Senatoren gewählt worden sind.

2. Der Landesrat für Gerichtswesen wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und zwei stellvertretende Vorsitzende.

3. Die Amtszeit der gewählten Mitglieder des Landesrates für Gerichtswesen dauert vier Jahre.

4. Die Ordnung, den Umfang der Tätigkeit und die Arbeitsweise des Landesrates für Gerichtswesen sowie die Wahl seiner Mitglieder regelt ein Gesetz.

 

VERFASSUNGSGERICHTSHOF

Artikel 188

Der Verfassungsgerichtshof entscheidet über

1) die Vereinbarkeit der Gesetze und der völkerrechtlichen Verträgen mit der Verfassung,

2) die Vereinbarkeit der Gesetze mit den ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen, deren Ratifizierung eine vorherige Zustimmung durch Gesetz voraussetzt,

3) die Vereinbarkeit der Rechtsvorschriften, die von zentralen Staatsorganen erlassen werden, mit der Verfassung, den ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen und den Gesetzen,

4) die Vereinbarkeit der Ziele oder Tätigkeit der politischen Parteien mit der Verfassung,

5) die Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 79 Abs. 1.

Artikel 189

Der Verfassungsgerichtshof bescheidet Kompetenzstreitigkeiten zwischen den zentralen verfassungsmäßigen Staatsorganen.

Artikel 190

1. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes sind allgemein bindend und endgültig.

2. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 188 werden unverzüglich in der amtlichen Veröffentlichung bekannt gemacht, in der der Normativakt veröffentlicht worden ist. Ist der Akt nicht veröffentlicht worden, ist die Entscheidung im Amtsblatt der Republik Polen “Monitor Polski” bekanntzumachen.

3. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes tritt am Tag der Verkündung in Kraft. Der Verfassungsgerichtshof kann jedoch eine andere Frist bestimmen, mit deren Ablauf der Normativakt seine bindende Kraft verliert. Ist ein Gesetz betroffen, darf diese Frist achtzehn Monate nicht überschreiten. Bei anderen Normativakten darf die Frist nicht länger als 12 Monate betragen. Im Falle eines Urteiles, das finanzielle Aufwendungen zur Folge hat, die im Haushaltsgesetz nicht vorgesehenen sind, setzt der Verfassungsgerichtshof die Frist für das Außerkrafttreten des Gesetzes nach Anhörung des Ministerrates fest.

4. Stellt der Verfassungsgerichtshof die Unvereinbarkeit eines Normativaktes mit der Verfassung, einem völkerrechtlichen Vertrag oder einem Gesetz fest und ist auf der Grundlage dieses Normativaktes eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung, endgültige Verwaltungsentscheidung oder Entscheidung in anderen Angelegenheiten ergangen, bildet die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes die Grundlage für die Wiederaufnahme des Verfahrens beziehungsweise für die Aufhebung der Entscheidung nach den Grundsätzen und gemäß der Verfahrensweise, die in den auf diese Verfahren anwendbaren Vorschriften geregelt sind.

5. Der Verfassungsgerichtshof trifft seine Entscheidungen mit Stimmenmehrheit.

Artikel 191

1. Ein Verfahren beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 188 können beantragen:

1) der Präsident der Republik, der Sejmmarschall, der Senatsmarschall, der Vorsitzende des Ministerrates, fünfzig Abgeordnete, dreißig Senatoren, der Erste Präsident des Obersten Gerichts, der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts, der Generalstaatsanwalt, der Präsident der Obersten Kontrollkammer, der Beauftragte für Bürgerrechte,

2) der Landesrat für Gerichtswesen in dem in Art. 186 Abs. 2 bezeichneten Umfang,

3) die Entscheidungsorgane der Einheiten der örtlichen Selbstverwaltung,

4) Landesorgane der Gewerkschaften und landesweite Führungsorgane der Arbeitgeberorganisationen und der Berufsorganisationen,

5) Kirchen und andere Religionsgemeinschaften,

6) die in Art. 79 bezeichneten Rechtsträger, in dem dort bezeichneten Umfang.

2. Die in Abs. 1 Nr. 3 bis 5 bezeichneten Rechtsträger können nur dann ein Verfahren beantragen, wenn der Normativakt ihren Tätigkeitsbereich betrifft.

Artikel 192

Ein Verfahren beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 189 können beantragen: der Präsident der Republik, der Sejmmarschall, der Senatsmarschall, der Vorsitzende des Ministerrates, der Erste Präsident des Obersten Gerichts, der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts und der Präsident der Obersten Kontrollkammer.

Artikel 193

Jedes Gericht kann dem Verfassungsgerichtshof eine Rechtsfrage bezüglich der Vereinbarkeit eines Normativaktes mit der Verfassung, den ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen oder dem Gesetz vorlegen, wenn von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung einer bei dem Gericht anhängigen Sache abhängig ist.

Artikel 194

1. Der Verfassungsgerichtshof besteht aus fünfzehn Richtern, die individuell vom Sejm gewählt werden. Die gewählten Personen müssen sich durch Rechtskenntnisse auszeichnen. Eine Wiederwahl ist nicht zulässig.

2. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes und seine Stellvertreter werden vom Präsidenten der Republik aus der Mitte der Kandidaten berufen, die von der Generalversammlung der Richter des Verfassungsgerichtshofes vorgeschlagen werden.

Artikel 195

1. Die Richter des Verfassungsgerichtshofes sind in der Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur der Verfassung unterworfen.

2. Den Richter des Verfassungsgerichtshofes werden Arbeitsbedingungen und eine Vergütung gewährleistet, die der Würde ihres Amtes und dem Umfang ihrer Pflichten entsprechen.

3. Die Richter des Verfassungsgerichtshofes dürfen, solange sie ihr Amt innehaben, weder einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft angehören noch eine Tätigkeit ausüben, die sich mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter nicht vereinbaren läßt.

Artikel 196

Ohne vorherige Zustimmung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Richter des Verfassungsgerichtshofes weder zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden, noch ist ein Freiheitsentzug zulässig. Der Richter darf weder festgenommen noch verhaftet werden, es sei denn, er wird auf frischer Tat betroffen und die Festnahme ist zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufes unentbehrlich. Die Festnahme ist unverzüglich dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes mitzuteilen, der die sofortige Freilassung des Festgenommenen anordnen kann.

Artikel 197

Die Organisation des Verfassungsgerichtshofes und die Verfahrensweise vor dem Verfassungsgerichtshof regelt das Gesetz.

 

STAATSGERICHTSHOF

Artikel 198

1. Die verfassungsrechtliche Verantwortung vor dem Staatsgerichtshof wegen der Verletzung der Verfassung oder eines Gesetzes im Zusammenhang mit dem bekleideten Amt oder im Bereich der Amtsgeschäfte tragen: der Präsident der Republik, der Vorsitzende und die Mitglieder des Ministerrates, der Präsident der Polnischen Nationalbank, der Präsident der Obersten Kontrollkammer, Mitglieder des Landesrates für Rundfunk und Fernsehen, Personen, die der Vorsitzende des Ministerrates mit der Leitung eines Ministeriums beauftragt hat, und der Oberste Befehlshaber der Streitkräfte.

2. In dem durch Artikel 107 bestimmten Umfang tragen auch Abgeordnete und Senatoren die verfassungsrechtliche Verantwortung vor dem Staatsgerichtshof.

3. Welche Arten von Strafen vom Staatsgerichtshof verhängt werden können, bestimmt das Gesetz.

Artikel 199

1. Der Staatsgerichtshof besteht aus einem Vorsitzenden, zwei stellvertretenden Vorsitzenden und sechzehn Mitgliedern, die weder Abgeordnete noch Senatoren sein dürfen. Die stellvertretenden Vorsitzenden des Staatsgerichtshofes und mindestens die Hälfte seiner Mitglieder sollen die Befähigung zum Richteramt haben.

2. Der Erste Präsident des Obersten Gerichtes ist Vorsitzender des Staatsgerichtshofes.

3. Die Mitglieder des Staatsgerichtshofes sind in der Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur der Verfassung und den Gesetzen unterworfen.

Artikel 200

Ohne vorherige Zustimmung des Staatsgerichtshofes darf ein Richter des Staatsgerichtshofes weder zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden, noch ist ein Freiheitsentzug zulässig. Der Richter darf weder festgenommen noch verhaftet werden, es sei denn, er wird auf frischer Tat betroffen und die Festnahme ist zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufes unentbehrlich. Die Festnahme ist unverzüglich dem Präsidenten des Staatsgerichtshofes mitzuteilen, der die sofortige Freilassung des Festgenommenen anordnen kann.

Artikel 201

Die Organisation des Staatsgerichtshofes und die Verfahrensweise vor dem Gerichtshof regelt das Gesetz.